Vorschau

Das stand nicht im Textbuch

Vorwort

Im Herbst 1999 feierte das TiM-Theater sein 20-jähriges Bestehen mit einer großen Jubiläumsrevue. Den Besuchern der Revue sollte neben zahlreichen Szenen durch eine ausführliche Moderation das Bild des TiM-Theaters möglichst vielfältig dargestellt werden. Ganz wie ein professionelles Theater, vielleicht sogar mehr, war TiM eine in sich geschlossene Welt, in der Arbeit und Privates, Besonderes und Alltägliches untrennbar ineinander verwoben waren. Kleine Geschichten aus dem Theaterbetrieb konnten dies besser dokumentieren als eine Aufzählung von Statistiken und Daten.
So entstand aus der Revue heraus die vorliegende Sammlung von Anekdoten, die in den folgenden Jahren noch weiter anwuchs und nun den ganzen Zeitraum des TiM-Theaters von 1979 bis 2010 umfasst..
Was sich nachfolgend an interessanten Begebenheiten findet, ist von einer lückenlosen Chronik weit entfernt, reicht aber völlig aus, um auch Außenstehenden ein komplexes Bild des Lebens im TiM-Theater zu bieten. Ungewöhnliche Vorfälle während der Proben und Vorstellungen stehen natürlich im Mittelpunkt, bilden aber nicht den alleinigen Inhalt. Denn das TiM-Leben reichte viel weiter.
Für über 200 Mitglieder war das Theater ein Ort der Geselligkeit, Geborgenheit, Freundschaft, Konfliktbewältigung und Selbstfindung. Die Beschäftigung mit einzelnen Stücken bot zugleich Hobby, Lernprozess und Lebenshilfe, Und so manches Stück führte innerhalb und außerhalb des Theaters zu lebhaften Diskussionen.
Wenn es dieser kleinen Sammlung gelingt, dem geneigten Leser nicht nur ein Schmunzeln zu entlocken, sondern ihn auch für die ganz eigene, unverwechselbare Welt des TiM-Theaters zu interessieren, dann hat sie ihren Zweck vollauf erfüllt.

Heinz Witte
(TiM Haus- und Hofkomponist)

 

Unerwarteter Bühnenglanz

Jeder TiM-Freund weiß, dass die Geschichte des TiM-Theaters 1979 mit den „Heinzelmännchen von Köln“ begann. Weniger bekannt dürfte sein, dass die Kulissen für die „Heinzelmännchen“ aus den Beständen der Niederrheinschau vom Vorjahr stammten, die Karin Derks durch einen Tipp aus Verwaltungskreisen im Keller des Moerser Hallenbades an der Wilhelm-Schröder-Straße aufgestöbert hatte. Darunter war eine wandhohe Darstellung des Moerser Altmarktes, mit der scheinbar niemand sonst etwas anfangen konnte. Für das kaum geborene Theater ein gefundenes Fressen!

 

Die literaturgerechte Panne

Die Handlung der ,,Heinzelmännchen von Köln“  ist wohl allgemein bekannt, da sich die von TiM aufgeführte Theaterversion ganz an der berühmten Ballade von August Kopisch orientiert. Höhepunkt des Stückes ist natürlich die Stelle, in der die Frau des Hauses einige Erbsen auf der Treppe verteilt, um die nächtlichen Helfer zu entlarven. Das Schicksal inszenierte die Stelle jedoch weit wirkungsvoller. In einer Aufführung platzte die Erbsentüte, und sämtliche, wenn nicht noch mehr Erbsen rollten auf der Bühne herum. Das Chaos einschließlich der Rutschgefahr brauchte diesmal nicht gespielt zu werden.

 

Jedes Kind braucht einen Namen!

Der Traum vom eigenen Theater tauchte erst nach einigen Jahren Theaterarbeit auf, wurde aber von allen Beteiligten als amüsante Spinnerei betrachtet. 1998 wurde aus dem Traum Realität. Zufällig war dies auch etwa der Zeitpunkt, als TiM 19 Jahre alt und somit „großjährig“ war. In diesem Alter ist es durchaus angebracht, sich ein neues Heim zu suchen. Aber eine weithin bekannte Institution war TiM schon lange davor. Irgendwann, so etwa 1986, als der Schauspielerstamm sich bereits als feste Theatertruppe empfand, wollte man sich auch einen Namen geben. In der inzwischen gegründeten Theaterzeitung wurde unter der obigen Überschrift eine Umfrage gestartet. Das anfänglich gefundene TMM sprach sich aber schlecht, so dass man das „i“ einfügte und nun TiMM (Theater in der Moerser Musikschule) hieß. Nach dem Umzug in eigene Räume fiel das Musikschul-M weg. Das einprägsame, allseits bekannte Logo entstand dank eines weltenbummelenden Designers, der seinerzeit mit seinem Schiff zufällig für ein paar Monate im Mülheimer Hafen angedockt hatte. Er wurde von TiM zum theatergerechten „TiM“ inspiriert.

 

Tanz vorm Zoo

Zu den Attraktionen einzelner Stücke mit großer Besetzung gehörten Tanznummern, an denen das gesamte Ensemble beteiligt war. Diese wurden auch bei Gastspielen außerhalb des Theaters präsentiert. So kam es bei einem Theaterausflug 1986, dass der umfangreiche, mehrteilige Schlusstanz aus ,,Pinocchio“ auf dem Platz vorm Duisburger Zoo mit dem Playback vom Kassettenrecorder wie ein Straßentanz aufgeführt wurde. Das erregte beträchtliches Aufsehen und brachte den Schauspielern nicht nur ein begeistertes Straßenpublikum ein, sondern auch eine Extraführung durch den Zoo – mit dem Direktor höchstpersönlich.

 

Der doppelte Ausverkauf

TiM hatte über viele Jahre das nicht selbstverständliche Glück, im Martinstift meistens ausverkaufte Vorstellungen zu geben. Für eine andere Art Ausverkauf sorgten die Schauspieler in höchsteigener Regie. Um sich die Proben zu versüßen, hatten sie den Süßigkeitsbestand der Cafeteria völlig verbraucht. Daher war nicht nur der Saal, sondern dummerweise auch die Verpflegung ausverkauft, so dass das arme Publikum am Abend in die Röhre guckte. Glücklicherweise war dies ein einmaliges Ereignis, weil von da an in den Proben die Regel galt, dass jeder sich nur ein Teil kaufen dürfe.

Der zerstreute Klarinettist

Musik spielte bei TiM immer eine wichtige Rolle. Beim ,,Fliegenden Teppich“, wo ein regelrechtes Symphonieorchester vor der Bühne saß, war es nicht anders. Nach der Pause sollte die zweite Hälfte mit einem Orchestervorspiel beginnen. Alles saß bereit, nur der Klarinettist fehlte. Er wohnte zwei Straßen weiter, eine knappe Minute vom Martinstift entfernt, war in der Pause einfach nach Hause gegangen und hatte das Wiederkommen vergessen. Da die Musik aber sofort mit einem großen Klarinettensolo losging, ging es eben nicht los. Ein Geiger fragte, ob im Publikum jemand zufällig Klarinette spiele. Schließlich nach einer Viertelstunde kam der große Solist mit rotem Kopf angeschlichen. Umständehalber musste er dabei von hinten durch den ganzen Saal. Diesen ungewollt großen Auftritt begleitete großer Applaus, mit Lachen und Kichern garniert. Nach glaubwürdigen Informationen ist er nie wieder irgendwo zu spät gekommen. Vielleicht ist aus ihm ein Professor oder Computerfachmann geworden. Zerstreut war er ja schon.

 

Starker Abgang auf leisen Sohlen

Wer Karin Derks in einem Kleid sehen möchte, besorge sich Zeitungen aus den Achtzigern und suche nach bebilderten TiM-Artikeln. Damals trug sie des Öfteren Kleider, beispielsweise in einer Sommeraufführung von „Oliver Twist“. Es war ein heißer Nachmittag, und Frau Derks hatte hinter der Bühne die Schuhe ausgezogen, weil es bei den Umbauten bequemer war. Abgesehen davon weiß jedermann, dass Pfennigabsätze auf Holz extrem laut klacken, was im Stück nicht vorgesehen war. Man kann aber bei der Hektik einer Aufführung nicht ständig an alles denken. So wurden die Augen der Regisseurin immer grösser, als sie bei der Schlußverbeugung am Bühnenrand abwärts blickte und sich immer noch ohne Schuhe barfuß sah. Das Publikum war davon ebenso angetan wie vom Stück. Mancher machte seinen Nachbarn auf dieses bemerkenswerte Detail aufmerksam. Wie schon Rotkäppchen fragte: Großmutter, warum hast du so große Füße…?

 

Ein Sarg fährt durch Moers

In diversen Stücken kam der theatereigene Sarg zum Einsatz, eine große, schwarze Kiste mit einem großen weißen Kreuz auf dem Deckel. Diese wurde in früheren Zeiten wie die meisten größeren Requisiten außerhalb des Theaters in einer TiM-eigenen Garage gelagert. Bei der Transportfahrt mit einem PKW durch die Innenstadt zum Theater, den Sarg auf dem Hintersitz gut sichtbar hochkant gestellt, konnten die TiM-Leute an Ampelkreuzungen und langsamen Kurven alle Leute mit offenen Mündern und ausgestreckten Zeigefingern dastehen sehen: „Kuckt mal da!“ Dass das TiM-Theater sich begraben lassen wollte, hat aber niemand unterstellt.

 

Bühnensprache – schwere Sprache

Zum festen Bestand einer Theaterchronik gehören natürlich auch die Versprecher. Bei den tollsten Versprechern musste der Bühnenboden schon aufpassen, dass er sich nicht vor Lachen bog. Einen komischen Verdreher von Adjektiven gab es z.B. Im ,,Fliegenden Teppich“: ,,Da kommt der edle Diener und sein tölpelhafter Prinz.“ In ,,Robin Hood“ sprach ein Darsteller also zum Titelhelden: ,,Auf Euren Preis ist ein Kopf ausgesetzt.“

Besonders schwer zu behandeln sind von Kindheit an eingelernte Sprachgewohnheiten. In der früheren Inszenierung von „Oliver Twist“ sagte die Darstellerin der Nancy auf gut nieder rheinisch immer: ,,Ebenttt“ statt ,,Eben“. Nach diversen Fehlversuchen, ihr die richtige Aussprache anzugewöhnen, sagte Frau Derks: ,,Pass mal auf, du kannst doch statt ,Eben‘ einfach ,Gerade‘ sagen.“ Gesagt, getan. Es funktionierte sehr gut bis zur Aufführung. Dort im entscheidenden Moment sagte Nancy laut und deutlich: ,,Als ich gerade ebenttt zur Tür hereinkam…“

Die späte Rache der Schauspieler

Mit „Dicke Luft“ brachte TiM 1991 ein Umweltstück auf die Bühne. Die Besetzung bestand aus Ehemaligen der ersten Generation, die sich für dieses Stück als „TiM-Revivals“ zusammentaten. Karin Derks, die neben der Regiearbeit ebenfalls mitspielte und als Halbstarker mit Schlägermütze und auf Rollschuhen auf die Bühne kam, musste laut Stück von zwei Spielern zum Handstand umgedreht und mit dem Kopf nach unten kurz in der Luft gehalten werden. So geschah es. Sie hielten sie hoch – mit offensichtlichem Vergnügen extra lange und extra hoch, so dass ihr vorgeschriebener Text „He, lasst mich sofort runter!“ gar nicht gespielt, sondern ziemlich echt klang.

 

Eitelkeit kommt von Ei

In dem Umweltstück „Dicke Luft“ wurden lebende Hühner gebraucht, die offenbar ebenso bühneneitel waren, wie man es Schauspielern nachsagt. Sie reagierten auf die Anwesenheit des Publikums durch ständige Unruhe und protziges Aufplustern. Daher wurden sie vom zuständigen  Hühnertrainer bei jeder Vorstellung durch andere Hühner ersetzt.

Mitten in einer Szene sollte von einem Huhn ein Ei gelegt werden, das später von einem Schauspieler heraus genommen und durch die Luft geworfen werden musste. Weil der Hühnertrainer meinte, die Hühner würden wahrscheinlich durch ihren Stress gar keines legen, wurde vor jeder Vorstellung vorsorglich ein hartgekochtes Ei griffbereit ins Nest gelegt. Oft lagen dann aber sogar mehrere frisch gelegte Eier im Nest – ein Beweis dafür, dass Stress sogar Hühner kreativ machen kann. Dieser Umstand wurde dem Schauspieler, der das eine Ei aus dem Nest zu nehmen hatte, zum Verhängnis. Statt des präparierten Eis erwischte er eines der frisch gelegten. Er drückte etwas zu fest zu und – Bah Pfui!

 

Der Tag der Öko-Schande

Nachdem es in NRW Ende der Achtziger Jahre des Öfteren Smog-Alarm gegeben hatte, waren Öko-Themen „in“. So erregte das Umweltstück „Dicke Luft“ 1991 viel Aufmerksamkeit. Anlässlich einer Nachmittagsvorstellung gab es in der Cafeteria des Martinstifts Kaffee, Kuchen, Getränke und Süßigkeiten, wie es auch bei anderen Veranstaltungen üblich war. Die Cafeteria verfügte zu diesem Zweck über ausreichendes Porzellangeschirr, das trotz der hinterher anfallenden Spülarbeit in der Regel benutzt wurde. Unerfindlich wird wohl auf immer bleiben, warum Frau Srebro, die Leiterin der Cafeteria, ausgerechnet an diesem ökobefrachteten Nachmittag nur umweltbelastende Pappteller und Plastikbecher ausgab und damit die idealistische Botschaft des Stückes völlig in den Sand setzte.

 

Eine Leiche läuft weg

Zu „Oliver Twist“ hatte Karin Derks die Bühnenfassung nach Dickens´ Roman selbst verfasst. Nach anfänglichen Bedenken entschloss sie sich, jene Mordszene auf der Bühne darzu-stellen, in der Nancy von dem Verbrecher Monks erschossen wird. Für den Fall, dass Monks´ Pistole versagte, sollte er Nancy statt dessen ,,erschlagen“, – also mal nicht der Tritt mit dem vergifteten Stiefel, den man aus uralten Theaterwitzen kennt. Doch dieser Notbehelf war viele Vorstellungen hindurch nie nötig.

Dann bei der 10. Aufführung ist es endlich soweit. Die Pistole streikt. Monks ist völlig ratlos. Karin Derks, die vor dem Orchester sitzt, versucht von ihrem Platz vor der Bühne aus mit hektischen Bewegungen, die vorgesehene Notlösung zu „inszenieren“. Nancy, die vergebens auf den Knall wartet, lässt sich vorsorglich schon einmal fallen. Monks, dem in seinem totalen Blackout nichts Besseres einfällt, zielt und ruft: ,,Peng! Du bist tot!“ Auf diesen verzweifelt beschwörenden Anruf hin rafft sich Nancy ebenso spontan wie unpassend wieder auf und stürmt von der Bühne wie ein vom Fuchs verfolgter Hase. Das war auf der TiM-Bühne die erste, aber auch letzte Leiche, die wegrannte.

UDENBRETH: TiM als Kulturbotschafter

Das abgelegene Dorf Udenbreth in der Eifel war 10 Jahre lang während der Herbstferien Schauplatz eifriger TiM-Aktionen. Diese bestanden in der Hauptsache aus Proben und Freizeit. Nachdem die Udenbrether herausgefunden hatten, was sich alljährlich im Schullandheim abspielte, kam jedes Jahr eine öffentliche Vorstellung dazu, die im örtlichen Gasthof stattfand. Udenbreth ist ein Bauerndorf mit 150 Einwohnern, von zahlreichen Vierbeinern abgesehen. Keine Abwechslung, kein Geschäft, nichts! Kultur null, außer den jährlichen Glanzauftritten von TiM, die geradezu zu gesellschaftlichen Höhepunkten wurden. Eine Karte kostete aus gewerberechtlichen Gründen 99 Pfennige. Frage eines interessierten Ureinwohners: ,,Wenn ich eine Karte habe, muss ich dann auch reingehen?“ – ,,Nein.“ – ,,Dann nehm ich noch ein paar.“ Das ist Sponsoring, wie es sein sollte!

 

Ja, wo spielen sie denn?

Als die zwei E-Organisten, die mehrere Jahre hindurch viele Stücke musikalisch begleiteten, in Udenbreth nach der Theatervorstellung noch ein zünftiges Orgelkonzert gaben, waren alle Zuhörer überzeugt, dass im Keller 20 Mann Orchester spielten. Aber derartige Irrtümer gibt es auch in Moers. Bei der Wiederaufnahme von „Oliver Twist“ 1997, als einige „lebendige“ Musiksolisten vor der Bühne zusammen mit einem als Playback eingespielten Orchester musizierten, fragten manche Zuschauer, ob das Sinfonieorchester hinter der Bühne gesessen habe. Ja, wo spielen sie denn??

 

Die Macht der Routine

Eigentlich herrschte im TiM-Theater weder während der Proben noch während der Aufführungen irgendeine Form von Langeweile. Wer bei längeren Proben im Moment nicht auf der Bühne gebraucht wurde, schaute zu, half bei den Requisiten, machte Schularbeiten oder beschäftigte sich sonstwie. Trotzdem brachte es eine kleine Nachwuchsschauspielerin fertig, während einer Probe tief und fest zu schlafen.

Aber das war noch gar nichts! Bei einer Vorstellung im Eifeldorf Udenbreth geschah es, dass im „Gespenst von Canterville“ trotz lautstarker Handlung die Darstellerin der Mutter zwischen zwei Auftritten hinter der Bühne buchstäblich eingeschlafen war, obwohl sie keineswegs eine kleine Rolle hatte. Erst kurz vor ihrem nächsten Auftritt wurde sie durch ein Geräusch geweckt – rein zufällig!

 

Schrecken in der Nacht

Das ungewöhnlichste Ereignis im Eiffeldörfchen Udenbreth, ein nächtlicher Einbruch in die Post, fand während der Anwesenheit des TiM-Theaters statt. Eines Nachts erklangen plötzlich trompetenhafte Töne vor dem Schullandheim. Zuerst hatten die aus dem Schlaf Geschreckten ein verrückt gewordenes Mitglied in Verdacht. Doch laute Rufe von draußen: „Einbruch!…Josef, ruf de Polizei!…Ich hol mai Lamp´!“ belehrten sie eines Besseren – oder Schlechteren. Die Trompete war also ein ernstgemeintes Warnsignal. Während draußen Josef „sai Lamp´“ und dazu noch einen Hund holte, Leute herumliefen und die Post schützend umstellten, rannte in den Zimmern der TiM-Leute alles durcheinander und flüchtete sich mit mehreren zugleich auf ein Bett, das daraufhin verdächtig knarrte. Die Berichterstattung bei Karin Derks klang folgendermaßen: „Einbruch! Einbruch!“ – „Waaaas??“ – „Einbruch!“ – „Woooo??“ – „Post! Post! Josef und sai Lamp´! Trompete!“ Daraufhin wurden Türen und Keller verriegelt. Von einigen Phantasiebegabten wurden Geiselnahmen befürchtet, fanden aber nicht statt. Dieser spektakuläre Postraub wurde damals auf sämtlichen Fernsehkanälen besprochen. TiM wurde (leider) nicht erwähnt, und so wurde eine Bombenreklame verpasst.

Bald nachdem TiM die jährlichen Herbstfahrten eingestellt hatte, wurde auch die Post dicht gemacht. Seither haben die Bauern von Udenbreth nur noch Gegend und Kühe.

… und auf und zu und auf und zu!

Es gibt in Theaterstücken gelegentlich Stellen, in denen sogar der Vorhang mitspielt. Eine solche Stelle war das Ende von „Robinson soll nicht sterben“, als der greise Robinson-Autor Daniel Defoe einen glücklich-entrückten, ruhigen Bühnentod starb. Diesem Ereignis angemessen sollte sich der Vorhang mit würdevoller Langsamkeit schließen, was er bei allen Aufführungen denn auch ordnungsgemäß tat. Eine einfache Sache, sollte man meinen. Die Schauspielerin, die den Vorhang manuell mit einer großen Kurbel bediente und dazu seitlich am hinteren Bühnenrand stand, erlebte das in den Proben zuvor aber ganz anders und ließ sich darüber in der Theaterzeitung „ZiMMT“ folgendermaßen aus:

Alles hat damit angefangen, dass ich den Vorhang aufmachen sollte. Also kurbelte ich und kurbelte ich bis zum Anschlag. „Halt!“ Viel zu weit, also noch mal von vorne! Mein zweiter Versuch. „Manuela, mach mal den schwarzen Vorhang neben dir zu, man darf dich vom Publikum aus nicht sehen.“ Als ich das getan hatte, konnte ich in meiner neutralen Ecke allerdings auch nichts mehr sehen. Tastend drehte ich den Vorhang wieder auf, natürlich wieder zu weit. „Zähl‘ mal bis fünfeinhalb!“ Mit fünfeinhalb hat es allerdings auch nicht geklappt. Ich kann nämlich nicht bis fünfeinhalb zählen und dabei einen Vorhang aufdrehen. Das ging dann noch ungefähr zehnmal so.

Langsam aber sicher bekam ich den Vorhang in den Griff, bis zur Sterbeszene. In meinem üblichen Speed schloss ich den Vorhang. „He, der Christopher ist doch noch gar nicht gestorben! Und wenn überhaupt, dann nicht in so einem Tempo. Ich geb‘ dir ein Zeichen. “ Danach ist Christopher noch ca. 22mal gestorben. Zeitweilig starb zur Abwechslung sogar das ganze Ensemble.

 

TiM geht baden

Bei „Oos“ gab es ein ziemliches Gepantsche, als die Schauspieler durch mehrere große Wasserbecken laufen mussten. Man nahm extra große Becken, damit die bereits erwachsenen Schauspieler genug Platz für ihre großen Füße hatten und nicht alles überschwemmten. Es blieb aber trotzdem nicht aus, dass es ziemlich spritzte. Das Dumme an der Sache war nur, dass man das Wasser während des Stückes nicht aufwischen konnte. Die Quittung kam postwendend, als man beim Abbau feststellte, dass der Holzboden aufgequollen war. Noch beim Nachtrocknen verzog er sich immer mehr und bildete schließlich eine regelrechte Welle, so dass er teilweise erneuert werden musste. Seitdem ist man bei TiM etwas wasserscheu, wenn zufällig mal ein Tropfen Wasser den Bühnenboden berührt. Das soll aber für kleine Nachwuchsdarsteller kein Alibi sein, zu Hause das tägliche Waschen zu verweigern.

 

Typisch Niederrheinischer Dialog

Im „Hexenlied“ gab es als Bühnenbild eine große Fratze auf einer Leinwand, mit Stricken oben an der Querstange festgemacht. In einer Aufführung kurz nach Beginn, als man es sich im Regieraum gerade gemütlich gemacht hatte, stand plötzlich eine der Musikerinnen, die für die Bühnenmusik zuständig waren, in der Tür. Auf gut Niederrheinisch entspann sich folgender Dialog: ,,Was machst du denn hier?“ – ,,Die Fratze ist kaputt.“ – „Wie, die Fratze ist kaputt?“ – ,,Ja, die Fratze ist kaputt.“ – ,,Wieso ist denn die Fratze kaputt.“  Nun ja, die Fratze war also kaputt! Sie war nicht mehr auf der Stange auf zu ziehen, weil sich die Stricke gelöst hatten. Das war wohl zu reparieren, aber es sollte weitergehen, ohne dass die Vorstellung durch diese Panne gestört wurde. Also wurde einfach eine Verdunklung organisiert, bei der die Schauspieler auf der Bühne plötzlich Angst mimen mussten, damit hinter der Bühne die Stricke sortiert und festgemacht werden konnten. Danach ging es tatsächlich weiter. Übrigens fanden die Kinder im Saal es sehr spannend. Die Dunkelszene, deren wahre Ursache im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln blieb, sprach sich herum, und in einer der nächsten Vorstellungen wartete alles gespannt auf die Verdunklung – allerdings vergeblich, denn die Fratze spielte wieder ordnungsgemäß mit. Schade!

Wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht

Pannen größeren Ausmaßes kamen bei TiM glücklicherweise kaum vor, was außer dem Anekdotensammler sicher niemand bedauert. Einer der schlimmsten Zwischenfälle, der die Elektronik für einen Teil der Aufführung durcheinander brachte, wurde durch das nicht ausgeschaltete Handy eines unachtsamen Zuschauers verursacht. Auffällige Pannen auf der Bühne passierten selten – erstaunlich selten, wenn man bedenkt, dass Umbauten, Requisiten und überhaupt alles, was im Theater zu tun war, von den Schauspielern selbst gemacht wurde, und das auch während einer Aufführung. Bei ,,All Baba“ sollte ein Umbau während des Stückes einen schönen Bühnenwald auf die Bühne bringen, der neben einem Hintergrundbild auch einige Bäume umfasste. Während des Umbaus hörte sich das so an: ,,Hast du noch einen kleinen Baum für hier vorne?“ – ,,Nein, ich hab‘ hinten zwei große zu viel. Wo sollen die hin?“

 

Leiden für die Kunst

Das Leben eines Schauspielkünstlers kann sehr hart sein! In dem Einpersonenstück „Dreck“ musste der Protagonist eine Zwiebel essen, natürlich auch in der Probe und dort eben probenhalber recht lange und ausgiebig. Ein besonders scharfes Exemplar trieb ihn zum Wahnsinn. Durch Tränen und Zwiebelgestank hindurch, aus vorsichtig größerer Entfernung klang die Stimme von Karin Derks: ,,Spiel einfach weiter. Kümmere dich nicht drum!“ Bei dieser Ermahnung hatte die ebenfalls zwiebelempfindliche Regisseurin, wie man der Gerechtigkeit halber anmerken sollte, selber Tränen in den Augen. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

 

Huh!!

Eine gute Aufführung besteht aus wesentlich mehr als dem Herunterbeten von Text. Es gehören dazu neben möglichst guten Darstellern auch eine angemessene Ausstattung und eine gute Beleuchtung. Der Drachenkampf im ,,Fliegenden Teppich“ war wegen der horrormäßig raffinierten Beleuchtung und des tollen Drachens von so starker Wirkung, dass im Zuschauerraum Entsetzen ausbrach, vor allem bei den Kindern, die vorne an der Rampe saßen. Nach einer Aufführung von „Vampire waren auch nur Menschen“ getrauten sich einzelne Kinder nicht an den Vampirdarsteller des Grafen Horrorvision heran, weil er noch Gesichtsschminke trug und zuvor in beängstigender Manier durch den Saal gejagt war.

 

Flottes Timing

Theater soll neben der geistigen Erbauung auch der Unterhaltung dienen. Langeweile ist bei TiM nicht angesagt. Man kann die Kurzweil aber auch übertreiben und zu wörtlich nehmen. „Der Heultopf“, ein Stück mit vielen Nachwuchsdarstellern, wurde in einer Gastspielvorstellung aufgeführt. Wie schon bei der heimischen Premiere waren etwa 45 Minuten Spielzeit angesetzt. Im Stück wurde scheinbar alles gespielt wie sonst und nichts ausgelassen. Wer aber beschreibt das perplexe Erstaunen der Beteiligten, als die ganze Sache nach sage und schreibe 17 Minuten vorbei war. Etwas peinlich! Man hielt es für das Beste, dieses wahrlich unerklärbare Rätsel nicht weiter zu erörtern.

 

Der anhängliche Zahn

Das Schicksal kann nicht nur auf der Bühne zuschlagen, sondern auch hinter den Kulissen. So geschehen in ,,Robinson soll nicht sterben“. Einer Schauspielerin wurde anderthalb Stunden vor der Aufführung im Aufenthaltsraum durch einen Golfball (!) ein Zahn ausgeschlagen. Kurzes Telefonat mit der Homberger Kieferklinik – rasante Fahrt eines bereits mit Führerschein bewaffneten Schauspielers mit der Patientin zur Klinik – kurze Blitzbehandlung des dortigen Arztes, der das lose Requisit „festklebte“ – und die unfreiwillige Heldin war rechtzeitig zum Spielbeginn wieder zurück – mit dem wieder eingesetzten Zahn. Sie bewies starke Nerven und spielte, als sei nichts passiert. Den Zahn hat sie noch immer.

Eile mit Weile!

Dass die zahlreichen Musiker der verschiedenen Orchester beim Spielen nicht durcheinanderkamen, lag an Karin Derks, die bei den Vorstellungen nicht nur Regisseurin, sondern auch Dirigentin war. Das ging immer souverän und ohne Pannen ab, wenn auch nicht immer nach Plan. Die Dauer der Ouvertüre zum „Fliegenden Teppich“ betrug einmal 17 Minuten statt 12, was unbestreitbar um einiges langsamer war als sonst. Weil die besorgte Dirigentin aus Angst vor erneuter Langsamkeit ihre innere Uhr wahnsinnig beschleunigt hatte, betrug die Dauer bei der nächsten Aufführung nur noch 9 Minuten, was unbestreitbar um einiges schneller war als sonst. Einen sehenswerten Anblick bot die Pianistin, die eine ganze Zeitlang rasche Figuren zu spielen hatte und nun los tobte wie im Zeitraffer. Obwohl sie es bestens hinbekam, geriet sie beinahe in Panik und keuchte hinterher mit glasigen Augen zur Dirigentin: ,,Machen Sie das um Gottes Willen nie wieder!!“

 

Mattgesetzt

Es war einmal im Schullandheim Udenbreth, als „Ben liebt Anna“ zur Premiere vorbereitet wurde. Karin Derks, die stundenlang geprobt hatte, und der so genannte „Haus- und Hofkomponist“ Heinz Witte, der ebenso lange einen Teil der Musik eingespielt hatte, setzten sich nach dem Abendessen ins kleine Zimmer neben dem Gesellschaftsraum, während sich die Schauspieler, wie abends üblich, überall verteilt hatten. Um den Kopf frei zu kriegen und sich etwas zu entspannen, kramten die Beiden ein Schachbrett hervor und begannen eine Partie. Unerklärlich für alle Zeiten bleibt die Geschwindigkeit, mit der sich die Nachricht hiervon verbreitete. Es dauerte kaum fünf Minuten, bis etwa ein Dutzend „Fachleute“ sich um den Tisch versammelt hatten und lautstark und eifrig die Spielsituation sowie Vorschläge für die nächsten Züge diskutierten. Der Zweck der Partie, die eigentlich keine TiM-Meisterschaft sein sollte, war natürlich im Eimer. Die beiden Kontrahenten sahen sich – anders als Goethes Zauberlehrling – von Geistern mattgesetzt, die sie nicht gerufen hatten, und räumten kopfschüttelnd das Brett weg. Dies war eine der wenigen Partien der Schachgeschichte, in der beide Spieler vorzeitig aufgaben

Ein Gespenst zu viel

Zum umfangreichen Lesungsprogramm des TiM-Theaters gehörten auch Gruselnächte in der Zentralbibliothek. Während einer unheimlichen Horrorgeschichte geisterten 3 gespenstisch vermummte Schauspieler durch die abgedunkelte Bibliothek. Hinterher sollten die Kinder raten, wie viele Gespenster es gewesen waren. Die meisten hatten ganz richtig 3, einige auch nur 2 gesehen. Verblüffender und beunruhigender war schon, dass mehrere Kinder 4 (!) Gespenster entdeckt hatten. Gibt´s vielleicht doch echte??

 

Playback ohne Elektronik

In den „selbstgekochten“ TiM-Musiken waren die Lieder auf Stimmumfang und Singvermögen der einzelnen Darsteller abgestimmt. Nur selten ergaben sich Probleme, die besondere Maßnahmen erforderten. Bei der Wiederaufnahme von „Rixi vom Regulus“, die auch in Udenbreth lief, musste die Regisseurin die Texte teilweise und die Lieder ganz für die erkältungsbedingt völlig heisere Rixi ,,synchronisieren“. Das war aber nicht neu. 1982 in Moers ging es im gleichen Stück mit der Darstellerin von Professor Schnups genauso. Diese war zwar nicht krank, aber auch kein Opernstar – mit Verlaub gesagt konnte sie überhaupt nicht singen. Zum Glück hatte sie nur ein Sololied. Karin Derks, die als Dirigentin des Spielkreises mit dem Rücken zum Publikum stand, sang mit verstellter, an die Sprechstimme der Schauspielerin gut angepasster Stimme. Die heutige, auf knallige Fachausdrücke geeichte Elektronikbranche würde so etwas „Unplugged-Live-Varieted-Human-Voice-Analog-Playback“ nennen. Der Vorgang blieb übrigens von den Zuschauern unbemerkt.

Feuer und Flamme

Bei ,,Rixi vom Regulus“, einer Science-Fiction-Komödie mit vielen Effekten, in der ein flambierter Plumpudding eine große Rolle spielte, war der Puddingverbrauch in den Proben verständlicherweise enorm. Nach einigen Wochen Probe konnte niemand mehr Schokoladenpudding sehen, geschweige denn essen. Trotzdem wurde der „Plumpudding-Tango“ zu einem Langzeithit und diente in der  Jubiläumsrevue 1999 als Zugabe.

Aber es gibt noch mehr Komisches zu erzählen. Bei jeder Aufführung musste die Feuerwehr dabei sein wegen der explodierenden Pfeife des Professors Blau und dem flambierten Plumpudding. Einmal ging die Flambierung nicht aus, weil jemand ,,fürsorglich“ achtzigprozentigen Rum darüber gegossen hatte. Aber gefährlich wurde es nicht, denn immer war die Feuerwehr anwesend. Zuerst kamen zwei Mann, die zunächst das Ganze als Kindertheater wohl kaum ernst nahmen. Aber wider ihre Erwartung fanden sie das Stück doch sehr gut. Bei der nächsten Aufführung kamen schon fünf Mann, die von den neuen „Fans“ informiert worden waren. Dann zwölf Mann, schließlich ein ganzer Löschwagen. Bei so viel feurigem Enthusiasmus machte es wohl nichts, dass sie nie Eintritt bezahlen mussten. Es gab einige Unruhe im Publikum beim Anblick dieser Lebensrettungsarmee, die sich aber rasch wieder legte, weil die Feuerwehrleute alle Ihre Familien mitbrachten.

 

Zopflos und kopflos

In einer Szene aus dem recht quirligen und flotten Stück „Banana“ gab es Aufführungsstress noch und nöcher. Einer der Schauspieler, abwechselnd mit mehreren Rollen beschäftigt, hatte kaum Zeit zum Umziehen. Frau Derks beruhigte ihn und meinte: ,,Stell dich einfach hin! Die zwei hier ziehen dich um.“ Gesagt getan. Der gute Junge stand wie eine Schaufensterpuppe, die beiden anderen versuchten krampfhaft, den wie ein Klotz Dastehenden anzuziehen. Zu guter Letzt sollten seine langen Haare noch zu einem Zopf zusammen gebunden werden. Doch der Gute hielt die Warterei nicht mehr aus, weil er eine Verspätung befürchtete. Völlig entnervt  raste er unter Zeitdruck die Treppe herunter zu seinem Auftritt – mit offenen Haaren, sozusagen zopflos. Auf den verzweifelten Zuruf seiner Kollegen ,,He, deine Haare!“ keuchte er, ohne zu bremsen, zurück: ,,Ich habe gar keine Haare!“

Lebensnah

„Mannomann“, ein Stück, das von den Sorgen einer Arbeiterfamilie erzählt, wurde wie viele andere Stücke auch außerhalb des Theaters gespielt – in der Theatersprache „aushäusig“. In Meerbeck gab es eine Aufführung für deutsche und türkische Menschen, die durch ihren Verlauf für die Qualität von Stück und Inszenierung sprach. Während des Stücks wurden die Texte von zwei im Publikum sitzenden Kindern sofort und spontan ins Türkische übersetzt. Sie sprachen, flüsterten und riefen synchron mit den Schauspielern, was das Zeug hielt. Die Theaterzeitung bezeichnete später den Vorgang treffend als Zweikanalton. Hinterher kamen die zuschauenden Kinder zu den Schauspielern, weil sie es toll fanden, dass alles wie bei ihnen zu Hause aussah. Sie fragten, ob es denn auch ein Stück darüber gäbe, weil sie dachten, die Schauspieler hätten einfach ein Kinderspiel improvisiert. Ein besseres Kompliment konnten sie der auf Spontaneität und Natürlichkeit ausgerichteten Inszenierung kaum machen!

 

Die Störenfriede

Bei der Jubiläumsrevue 2004 zum 25-jährigen Bestehen gab es kurz nach Beginn der Vorstellung einen Sketch, bei dem zwei vermeintlich ältere Damen im Zuschauerraum sich lautstark unterhielten, von der Anwesenheit des Publikums und dem Geschehen auf der Bühne scheinbar völlig ungerührt. Der ganze Saal amüsierte sich köstlich, nur ein Zuschauer kritisierte bei seinen Stuhlnachbarn die unmanierliche Störungsaktion dieser unliebsamen Zeitgenossinnen, die er für echt hielt. Für ihn waren die beiden Schauspieler offenbar zu – gut!

Der olympische TiM-Geist

Das Theater war für alle Generationen von Mitgliedern ein in sich ruhendes, geschütztes Umfeld. Die meisten Schauspieler identifizierten sich mit dem Theater, das für sie mehr war als ein beliebiges Hobby. Daher waren sie bereit, sich über den Spielbetrieb hinaus auch für ihre Spielstätte einzusetzen, die in Tausenden von Arbeitsstunden auf Vordermann gebracht wurde. Jeder machte praktisch alles. So lernten Jungen nähen und Mädchen Kabel verlegen. Aber scheinbar identifizieren sich kleinere Kinder heutzutage nicht mehr mit ihren Tätigkeitsbereichen und bringen überall hin ihre gewohnte Trägheit und Unbeteiligtheit mit. Was nicht von selbst und sofort funktioniert, wird abgeschoben. Die C-Mitglieder hatten für die Jubiläumsrevue 2004 Jonglieren zu üben. Als sie nach anfänglicher Einweisung alleine weitertrainieren sollten, damit es auch sicher klappte, meinte einer: „Naja, dann klappt es vielleicht nicht. Vielleicht mache ich das dann lieber erst gar nicht.“ Das spiegelte eine Zeitgeisterscheinung wieder, die im Theater eigentlich nichts verloren hatte. Eigentlich auch sonst nirgendwo. Aber was soll´s! Auch bei den Olympischen Spielen bauen so manche Athleten ab, wenn die Medaillen nicht von selbst angeflogen kommen. Von solchen Einzelfällen abgesehen, gab es aber jede Menge Beispiele von Teamgeist oder TiM-Geist, wenn wieder einmal tatkräftig zugepackt wurde. Davon zeugte jahrelang das Aussehen von Foyer und Theater.

 

Von Pädagogen und kleinen Menschen

Welche Auswirkungen hat ein Theaterstück? Bei der Lesung von Andersens „Der kleine Klaus und der große Klaus“ rief eine Kindergärtnerin wegen der Gewaltmomente in der Geschichte zum Boykott der Lesung auf, obwohl dieses Märchen in fast jeder Sammlung und auf unzähligen Kinder-CDs zu finden ist.

In „Komm wir knutschen“ geht es um Gefühle, um die erste Liebe, Streit, Küssen unter kleinen Kindern, aber auch unter alten Leuten, was kindlichen Zuschauern zunächst komisch vorkommen könnte. Die Sprache, die kleine Kinder haben, hört man plötzlich auf der Bühne und erlebt sie ganz anders als sonst oder im Fernsehen.

In „Gloria von Jaxtberg“ gibt es neben anderen Sprachkunststücken das Wort „superoberaffengeil“. Alle Lehrer fanden es amüsant und gut; nur von einer einzigen Lehrerin wurde das Wortmonstrum als zu schwer für Kinder befunden. Diese waren wohl anderer Meinung. Alle, vor allem ausländische Kinder, kringelten sich bei den komischen Redewendungen ab, zitierten sie auf dem Schulflur und sangen die Lieder. Fanden es alle „voll gut!“ Kindermund tut Wahrheit kund!

 

Die unfreiwillige Superszene

,,Ben liebt Anna“, ein erfolgreicher Dauerbrenner des Berliner Grips-Theaters, war auch in Moers ein vieljähriges Highlight und brachte dem TiM-Theater große Bewunderung aus Grundschulkreisen ein. Der Schuljunge Ben war der süße Schwarm aller Mädchen, bis einige – etwas enttäuscht – entdeckten, dass der Darsteller in Wirklichkeit eine Darstellerin und somit kein echter Junge war. Auch die anderen Hauptpersonen bzw. deren Darsteller hatten natürlich ihre Fans.

Mitten im Stück gab es einmal eine ungewollt spektakuläre Actionszene. Während einer Schulvorstellung voll in Action fiel Ben über einen Eimer, vorn auf die angrenzenden Podeste. Durch das heftige Wackeln löste sich eine Monitorbox und knallte auf einen Stuhl. Die gesamte Regie war in Alarmstimung, guckte, ob die Box in Ordnung sei, danach auch, ob der Schauspielerin nichts passiert war. Diese Reihenfolge muss man verstehen, denn schließlich war die Box teuer und neu, die Schauspielerin aber schon länger dabei. Aber alles war o.k. Dann am nächsten Morgen die zweite Schulvorstellung. Vor der besagten Stelle stellte man seitens der Regie große Unruhe im Zuschauerraum fest und hörte, wie einige Schüler Ihre Kumpels informierten: ,,Pass auf, jetzt gleich kommt die coole Stelle, wo Ben so super hinknallt!“ Das ließ er diesmal aber bleiben.

Gegen Extremismus abgestumpft

Aus Anlass von ,,Geheime Freunde“, worin das Schicksal eines jüdischen Mädchens im Zweiten Weltkrieg erzählt wird, erhielt das Theater anonyme Drohbriefe aus der Neonazi-Szene, die an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden. TiM als politisch brisante Großmacht? Müssen die Nazis Angst haben um Deutschland oder vor TiM? Ähnliche Reaktionen gab es auch nach „Street Kids“ und „Peter Steffens: Neonazi“. In der Stadthalle Rheinberg besuchten 570 Schüler aus allen Schultypen eine Schulvorstellung. Es wurde tatsächlich eine typische Schulvorstellung: Die Schüler sangen das während des Stücks vorkommende Lied „Die Fahnen hoch“ mit und standen dabei sogar mit gestreckten Armen auf. Die eingespielte Musik konnte wegen zu großen Lärms nicht mehr gehört werden; ein Lautsprecher ging wegen Überlastung kaputt. Randale wie 1933! Alle (!) Lehrer waren währenddessen in der Cafeteria. Hier erlebte man Theater als Spiegel der Gesellschaft.

 

Hochwasser im Kostümkeller

Im Jahre 2003 stand der Kostümkeller nach einem heftigen Wolkenbruch ganz unter Wasser. Alles musste auslagelagert werden – eine hübsche Beschäftigung für einen späten Samstagabend. Einige rasch alarmierte Retter, die in der Nähe wohnten, tappten barfuß durch die Räume, um vor allem lange Kostüme hoch zu hängen.

Zeitweise lagerten die Sachen auf dem Hülsdonker Friedhof neben der Leichenhalle. Die Bühnenbilder fanden Unterschlupf in einer Holderberger Scheune. Am Ferienende konnte alles trocken zurückgebracht werden. Gleichzeitig stand in der Kulissengarage oben Wasser, so dass alle Holzwände u.a. verfault waren und weggeworfen werden mussten, dazu auch viele verdorbene Kostüme. Danach wurden Computerlisten mit genauen Nummerierungen angelegt, um über den Bestand Übersicht zu behalten, der immerhin 2 000 Kostüme ausmachte. Der Katastrophe folgte ein amtliches Schreiben von der Stadt, dass alles unverzüglich aus dem Keller zu entfernen sei! Wohin, stand nicht dabei.

 

Auf den Hund gekommen

Seit Karin Derks eine kleine Terrierdame namens Frieda besitzt, gibt es im Theater außer der jeweiligen Inszenierung einen weiteren Brennpunkt. In kurzer Zeit brachte sie es zu stadtweiter Berühmtheit. Ein Besucher, der mit seiner Tochter zu einer ersten Kontaktaufnahme ins Theater kam, belehrte die Kleine: „Das ist Frieda!“ So etwas wundert den theaterkundigen Moerser ebenso wenig wie die Tatsache, dass Friedas Portrait die Titelseite der Jubiläumsbroschüre 2004 ziert und auch an der Portraitwand des Theaters zu finden ist – natürlich beim Leitenden Personal. Anfänglich torpedierte das erst wenige Monate alte Wesen durch langanhaltendes Bellen und Herumspektakeln die Proben. Bald aber war Frieda viel vernünftiger und ruhiger geworden. Die Anwesenheit vieler Leute nimmt sie gelassen hin. Sie weiß genau, wann die Vorstellung beginnt und haut sich im Regieraum aufs Ohr. Nur gelegentlich bereichert sie ein Stück durch einige vom Regiemikrofon verstärkte und vom Publikum mit Schmunzeln quittierte Beller. Manche können sich das Knuddelmonster in einer Inszenierung vorstellen. Wie wäre es mit dem „Hund von Baskerville“?

 

Ein Häppchen in Ehren…

Zu Beginn ihrer „Theaterkarriere“ war die Terrierdame Frieda immer wieder für Überraschungen gut. Gelegentlich ließ sie Requisiten verschwinden – zugegeben nur kleine. Doch ein Vorfall ließ einige Münder verblüfft offenstehen. Während eines Workshops, zu dem die Akteure ihre Mittagsverpflegung mitgebracht hatten, stellte eine Schauspielerin konsterniert fest: „Frieda hat mein Butterbrot gefressen!“ Daran gab es keinen Zweifel, aber wie Frieda auf den Gedanken kam, die Dose aus der Tasche zu holen und diese sachgemäß zu öffnen, hat sie leider nicht verraten.

Aus der Not eine Tugend gemacht

In „Ben liebt Anna“ gibt es eine Szene auf dem Schulhof, in der Basketball gespielt wird. Um den Bühnenraum entsprechend zu erweitern, lieh sich TiM für die erste Inszenierung von dem zu jener Zeit noch städtischen Betriebshof große Podeste. Die Sache war erfreulicherweise kostenlos. Bei einer späteren Neuinszenierung war das leider nicht mehr der Fall, da der Betriebshof inzwischen privatisiert worden war. Was tun? Die normale Bühne war zu klein für das Ballspiel. Doch in dieser Zwangslage wurde ein Geistesblitz geboren; man trat sozusagen die Flucht nach vorn an. Die ganze Aktion wurde ganz einfach in den Saal verlegt und der Ball flog über den Köpfen der Zuschauer hin und her, während die Spieler durch die Gänge tobten. Es stellte sich heraus, dass diese Lösung wesentlich beeindruckender war als die frühere Version!

 

Tiefgründige Philosophie

Während einiger Jahre veranstaltete Karin Derks zusammen mit dem Musiker Holger Klaus gelegentliche Projekte mit Schülern, in dem neue Stücke von den zumeist unerfahrenen „Neuschauspielern“ erdacht, geschrieben und am Ende der Arbeitswoche auch aufgeführt wurden. Mit tatkräftiger Hilfe der Projektleitung kamen dabei kurze Stücke über die Probleme zustande, die den Akteuren typischerweise am Herzen lagen. Neben Drogen, Gewalt und Generationsfragen fanden sich auch schwerwiegende Themen wie die erste Verabredung und die daraus resultierenden Eifersüchteleien. Dabei ergaben sich so substanzhaltige Dialoge wie: „Sag mal, gehst du jetzt mit ihr?“ – „Wenn man das so nehmen will.“ Den Vogel schoss aber der folgende sinnschwere Satz ab: „Man muss eine Lösung für dieses Problem finden, die dieses Problem löst!“ Die unfreiwillige Stilblüte klang ausnehmend weise und praxisbezogen und durfte im Text bleiben. Sie sei hiermit allen Politikern zur Beachtung empfohlen.

 

Theaterluft macht Beine

Viele ehemalige TiM-Mitglieder bleiben dem Theater verbunden, auch wenn sie längst im Berufsleben stehen und bereits Familien gegründet haben. Sie besuchen Vorstellungen und gelegentliche Feiern und bringen selbstverständlich ihren Nachwuchs mit. Solches tat auch ein Ehepaar bei einer sommerlichen Grillfete, die bei bestem Wetter auf dem Schulhof vor dem Theater stattfand. Ihr Sprössling war gerade soweit, das Stadium des Kinderwagens zu verlassen und noch unbeholfen herum zu krabbeln. Wie aber staunten die Eltern und die ganze Umgebung, als der Kleine sich unversehens auf den Weg machte und quer über den halben Schulhof dackelnd die erste Langstrecke seines Lebens absolvierte. Diese bühnenreife Leistung lässt hoffen, dass hier Erfolg versprechender Nachwuchs heranwächst. Wer kann schon von sich behaupten, er habe im Theater Laufen gelernt? Aber altgediente Schauspieler, die auf der Bühne oft genug das rollengemäße Gehen geprobt haben, könnten auch fragen: „Wo denn sonst?!“

 

Der Gipfel der Höflichkeit

Um Ruhe wird gebeten! Wir befinden uns in einer Vorstellung von „Blueprint“, dem bekannten Theaterstück über eine geklonte Pianistin. Im Bühnenbereich befinden sich nur die einzige Akteurin des Stückes sowie der Souffleur, der ebenso wie die Schauspielerin ein verdientes und erfahrenes Mitglied des A-Kaders ist. Doch auch solche Kaliber sind nicht automatisch gegen Pannen versichert. Der neben der Bühne versteckte Souffleur stellt mitten im Stück fest, dass die Batterie für das Mikrofon fast leer ist. Er hat vor der Vorstellung keine neue Batterie eingelegt und damit gegen eine zentrale Vorstellungsregel sämtlicher Theater betreffs Batterien verstoßen. Eile ist also geboten. Er flitzt außen um den Saal herum zum Regieraum hinauf, um die Scharte auszuwetzen. Statt aber sofort in den Regieraum zu gehen, sich eine neue Batterie zu greifen und wieder zu verschwinden, denkt er wohl darüber nach, dass sich in diesem Raum neben zwei Technikern die gestrenge Frau Derks befindet. Dass auch der kleine Terrier Frieda da ist, hat er vergessen (Frieda ist eben immer da!). Von schlechtem Gewissen geplagt klopft er ebenso höflich wie sinnlos an. Natürlich fängt Frieda an zu bellen, wie sich das für einen anständigen Hund gehört. Das schlechte Gewissen des Unglücklichen nimmt zu; anstatt nun hinein zu gehen, bleibt er weiterhin ebenso höflich wie sinnlos vor der Tür stehen. Eine leicht angefressene und schwer kochende Frau Derks schnappt sich Frieda, deren Bellen umgehend in ungehaltenes Jaulen übergeht, reißt die Tür auf und faucht den Störenfried an, was in aller Welt denn in ihn gefahren sei, und warum er nicht einfach hereinkomme. Mit leichter Batterie und schwerem Kummer zieht der Souffleur ab. Ein paar frühere Mitglieder, die als Zuschauer anwesend sind und Friedas Bellen vernommen haben, denken sich über Karin Derksens augenblickliche Stimmung ihr Teil. Nach der Vorstellung zieht es der Unglücksrabe vor, der Theaterchefin weiträumig aus dem Weg zu gehen, was in den schmalen Gängen des Theaters nicht ganz einfach ist. Er löst das Problem, indem er sich leicht gebückt hinter der einen Kopf kleineren Hauptdarstellerin zu verstecken sucht. Auch das lässt sich natürlich als Gipfel der Höflichkeit interpretieren.

 

Vor Gebrauch schütteln!

In dem Familienstück „Fränze“ wird die Geschichte einer Dreizehnjährigen erzählt, die die Trennung ihrer Eltern verkraften muss. Bevor es soweit ist, feiert sie mit den Eltern und zwei Schulfreunden ihren Geburtstag. Vor der Kaffeetafel gibt es für jeden ein Glas Sekt. Nachdem diese Szene in allen Vorstellungen gut verlaufen ist, wird es in der letzten Vorstellung Zeit für eine kleine Panne: Einer der Schauspieler wirft die noch geschlossene Sektlasche um. Vorsichtig wird sie wieder hingestellt, um kurz darauf von jemand Anderem flachgelegt zu werden. Als sei das nicht genug, stößt ein Dritter sie zum dritten Male um. Nun wird es richtig spannend. Erwartungsvoll lauert das Publikum auf den unausweichlichen Moment, in dem der Vater die Flasche öffnen muss. Die Katastrophe ist absehbar, aber was soll er machen? Er öffnet die Flasche, und der Sekt tut das, was gut geschüttelter Sekt eben so tut: Der Korken zischt ab wie eine Rakete, und das Schaumbad ergießt sich über die nähere Umgebung. Die Schauspieler verlieren jedoch weder die Nerven noch den Faden. Fränze schreit: „Ey, mein ganzer Kuchen ist versaut!“ Und Vater verkündet mit Blick auf seine Frau: „Sibylle wischt das gleich wieder weg.“ Na sicher, wozu sind Hausfrauen denn da?

Seit frühen Tagen wurde im Theater fast ausnahmslos das Dogma befolgt, dass es innerhalb der Theaterräume keinen Alkohol gibt. Dem Verstoß gegen diese Regel folgte die Strafe auf dem Fuße.

 

Was am Ende bleibt

Als die Schließung des TiM-Theaters zum Jahresende 2010 bekannt gegeben wurde, war dies nicht nur für die augenblicklichen Mitglieder ein wehmütiger, ja trauriger Abschied, sondern auch für viele treue Fans. 31 Jahre TiM waren nun Geschichte. Aber der Abschied hatte auch seine freundlichen Momente.

Schon seit Jahren veranstaltete TiM eine Reihe von Benefizvorstellungen, deren Erlöse dem Kinderhospizdienst Ruhrgebiet in Witten zugute kamen, einer Institution, die sich der Betreuung und Pflege unheilbarer und todkranker Kinder widmet. Aus der gegenseitigen Wertschätzung beider Institute entspann sich bald ein freundschaftlicher Kontakt, der in gelegentlichen Besuchen gipfelte. Bei der Überreichung der letzten Spende vom Sommer 2010 erfuhren die Moerser Besucher zu ihrer großen Freude, dass von dem Geld eine kleine Verbindungsbrücke zwischen zwei Teilen der Hospizanlage gebaut werden solle. Diese Brücke werde den Namen „TiM-Brücke“ erhalten. So wird neben filmisch dokumentierten Aufführungen sogar ein handgreifliches Denkmal an das TiM-Theater erinnern, ein Symbol für die Brücke von Mensch zu Mensch.

Vieles vergeht, aber manches besteht!